Das Winterrätsel

auf vielfachen Wunsch wird hier das „Rätsel des alten Martl“ platziert, da es einige Bergländer nicht bis zur Weihnachtsschatzkiste im Forstenrieder Park geschafft haben.

Der alte Martl lag im sterben. Er war gefasst und blickte auf ein Leben voller Abenteuer und Glücksmomente zurück. Seine Kinder, Enkel und Urenkel versammelten sich am Sterbebett. Die Regelung der Erbschaft, Beichte und letzte Ölung waren erfolgreich vollzogen, da richtete er sich unter Ächzen auf und sprach mit leiser aber fester Stimme:
„Ihr Lieben! Hier ist mein letzter Wille, bitte schreibt ihn wörtlich auf!“ Dann begann er langsam mit kehligem Singsang zu rezitieren:
„Zwölf Säue kegeln zum Brand mit einem Ahorn und einem Strauß.
Die Geis in der Gumpe gabelt die Krähe hoch.
Vorne lösen sich Hasen im Tal zum Schein.
In der Grube wird dem Feigen klamm; im Brunnen haben drei Hennen bis aufs Laub dem Teufel, dem Burschen, in der Sonne den Zahn gerappt.“
„Hä? Zu Boden mit dem Burschen?“, fragte der mitschreibende Enkel, „bitte nicht fränkisch reden.“ Aber Martl lies sich nicht aufhalten.
„Der gehörnte auf dem Acker labert mit dem Männchen.
Die Geier kreuzen in der Kuchl von Kopf auf Spitz; ohne Kienspahn hast du Not, du Ochs.
Es wankt ins Frikassee der Bischof neben der Grotte in die Kiste; die Helden feiern Ostern im heimischen Garten wo der König steht.
Das Joch des sonnigen Raben im Glas sagt lateinisch gut in die Achselhöhle, die bräunliche.“
Hier machte Martl eine Pause und trank einen Schluck vom guten Isarwasser, bevor er fortfuhr:
„Hols der Geier, ihr im See spitzenden Auerochsen! Alle Flocken auf Rossbüchern den Hirsch Leonhard.
Walle, Schilddrüse im blauen Hals, den blanken Riss und schinde dich.“
Der Redefluss wurde leiser und langsamer, doch unbeirrt fuhr er fort:
„Wer reines Wasser verrinnen lässt auf den Boden, soll satten bis auf den Stumpf.
Lichtet den Anker , die Brecher sind reich an Freuden am dürren Bach werft den Anker.
Der Jäger trinkt Benzin und tanzt bis das Ei pellen mies wird, oder die rauhe Taube auf der Lampe dem roten Sebald ruchbar wird.
Breite Schweine wendeln übern See und wild ist der Käse vom Jackl“
Mit einem Seufzer beendete Martl seinen Vortrag und sank ermattet in die Kissen zurück.
„Der Alte redet wirr“ sagten die Kinder, „Was soll das bedeuten?“ riefen die Enkel, „Opa du machst Witze“ jubelten die Urenkel.
„Wenn ihr das nicht versteht,“ murmelte der alte Martl, „dann denkt nach! Nur wer es versteht ist würdig meine alten Steigeisen zu tragen.“. Dann verschied er.
Der protokollierende Enkel schüttelte nachdenklich den Kopf: „Ich habe mich bemüht, alles aufzuschreiben, aber ob ich die Worte richtig verstanden habe, weiß ich nicht genau. Auf die Rechtschreibung konnte ich keine Rücksicht nehmen. Ich habe hier eine Abschrift für jeden, wer wohl herausbekommt, um was es sich handelt?“


Hier die Fortsetzung und Auflösung:


Am Tag der Beerdigung standen alle Angehörigen um das Grab und nachdem der Pfarrer seine unausweichliche Pflicht getan hatte, bildeten sich kleine Gruppen und diskutierten das seltsame Vermächtnis des alten Martl. Eine Bestimmung in seinem Testament lautete, die Erinnerungssteine, die der Martl von den Berggipfeln mit heruntergebracht und mit Datum und Bergnamen beschriftet hatte, an sein Grab zu legen. Die Angehörigen hatten sie nach dem Datum der Begehungen rund um die Einfassung herum plaziert. Doch die Enkelin Renni saß am Grab und ordnete die Steine auf seltsame weise neu an. Plötzlich stand sie auf, ging zu ihrem Papa und sagte: „Jetzt weiß ich was die Zaubersprüche bedeuten!“ Sofort war alles still und lauschte der Erklärung des Mädchens. „Ihr wisst doch, dass bei den Bergwanderungen der Opa immer alle genervt hat, wie er die Namen der Berge heruntergerasselt hat. Und dass er vor einiger Zeit immer mehr Namen vergessen hat. Vor einigen Jahren wurde er immer seltsamer und hat komische und unverständliche Sprüche vor sich hingemurmelt. Und letztes Jahr auf der Bergmesse konnte er plötzlich wieder alle Gipfel der Reihe nach von West nach Ost benennen.“ „Ja das stimmt, er wurde immer seltsamer!“ riefen einige Verwandte. „Genau,“ fuhr Renni fort, „er hat sich mit den Sätzen Eselsbrücken gebaut, um die Berge nicht zu vergessen. Es geht im Westen der Ammergauer los: 12-Apostel, Säuling, Tegelberg, Brandnerschrofen, Ahornspitze, Straußberg, Geiselstein, Gumpenkar und Krähe. Am Ende kommt er ins Leitzachtal: Breitenstein, Schweinsberg, Wendelstein, Seewandköpfl, Wildalpjoch, Kaserwand und Jackelberg. Er konnte sich die Sätze besser merken, als die Namen – Das ist das Geheimnis.“
„Ach so,“ sagten die anderen, „so einfach? Da wären wir auch noch drauf gekommen. Jetzt ab zum Leichenschmaus, es gibt Bier und Gemüse aus der Region!“

(Martin Heinz im Dezember 2020)